Wir hören lieber ein Ja als ein Nein. „Nein“ verkörpert für uns Ablehnung, dagegen sein, etwas nicht zulassen, Trennung. „Ja“ hingegen Offenheit, Zustimmung, Einheit.

In Wahrheit ist ein liebevoll ausgesprochenes Nein weder gut noch schlecht. Sogar gleichwertig mit Ja. Oder wenn du so willst: besser als ein gezwungenes Ja, das du nicht so meinst.

Warst du auch schön brav?

Aber warum sagen wir überhaupt lieber Ja als Nein? Wann fing das alles an und weshalb?

Die Antwort lautet Objektifizierung und begann in unserer Kindheit. Und wahrscheinlich übertragen wir das genauso auf unsere Kinder.

Von uns wurde verlangt, immer verfügbar zu sein. Wenn Mama ruft, hören wir und geben Antwort, weil sie ansonsten sauer wird. Wenn Papa sagt, dass wir losfahren und wir Schuhe anziehen sollen, folgen wir der Aufforderung, um uns Gemaule zu ersparen und im blödesten Fall irgendwelche Strafen.

Über die Schulzeit brauchen wir überhaupt nicht reden und im Berufsleben hört es auch nicht auf.

Ein zweiter Punkt knüpft hier gleich an: mitmachen. Von Beginn an wird von uns erwartet mitzumachen. Bei Familienfeiern, bei Schulausflügen, bei Grillfesten etc. Und das sind noch die angenehmsten Beispiele.

Wer nicht mitmacht, gehört nicht wirklich dazu und wird schief angeschaut. „Wie, du hast keine Lust und bleibst lieber zuhause?“, „Wie, du willst das Referat nicht halten? Setzen, sechs!“

Kommt an oder?

Addieren wir Mitmachen zum Verfügbar sein hinzu, lautet das Ergebnis Leistungsdruck.

Unterm Strich glauben wir in der Gesellschaft, in unserer Familie, bei unseren Freunden, bei unserer Partner*in nur etwas wert zu sein, wenn wir ausreichend leisten. Wenn wir also JA sagen, statt NEIN.

Weil alle dieses Spiel mitspielen, fällt uns der Ausstieg so schwer. Dabei macht es uns unzufrieden und krank, denn es entspricht nicht unserer wahren Natur.

Dein Nein ist nicht dein Problem

Die logische Konsequenz von all dem Objektifizieren ist, dass wir uns fremdgesteuert fühlen und es in vielen Bereichen auch sind.

Da „Nein“ nur ein Wort ist wie „Stuhl“ oder „Kaugummi“, muss der Schrecken und die Gefahr also woanders herrühren. Wie schon angerissen, fürchten wir uns fast ausschließlich vor den Konsequenzen, die unser Nein im Außen auslösen kann. Seine Schärfe bekommt es nur durch unsere Bewertung.

 

Fast ausschließlich, denn es gibt einen weiteren Grund. Nämlich die Angst davor, etwas zu verpassen. Wenn ich nicht zur Feier gehe, kann ich nachher nicht mitreden. Am Ende läuft es wieder auf den oben genannten Grund hinaus: Angst vor Ablehung. Wenn ich nicht mitreden kann, bin ich außen vor, gehöre nicht dazu.

Hier kommen 3 Fragen für dich:

(Beispiel: Eine Freundin fragt, ob du Zeit hast. Du hast Zeit, willst aber lieber auf dem Sofa liegen.)

1.  Was ist das Schlimmste, was passieren kann, wenn du Nein sagst?

(zum Beispiel: Sie könnte traurig oder wütend sein und nicht mehr mit mir reden.)

2. Ist die Konsequenz wirklich DEINE Sache?

(zum Beispiel: Nein, es ist die Wut bzw. Trauer meiner Freundin.)

3. Schadest du beteiligten Personen mit deinem Nein?

(zum Beispiel: Nein, die Freundin wird die geplatze Verabredung definitiv überleben.)

Also:

Wir sagen lieber Ja, um andere nicht zu verletzten = wir überhören lieber unsere eigenen Bedürfnisse, um die einer anderen Person zu erfüllen.

Willst du das? Findest du das gesund?

Wenn du nicht NEIN sagen kannst, lässt du keine Ruhe zu. Dein ganzes System hat keine Chance, sich richtig zu regenerieren. Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit wirst du nicht gut schlafen und kannst nicht bei der Sache, bei DEINER Sache bleiben.

Langfristige Folgen: chronischer Stress, Burn Out, Depressionen, geringer Selbstwert, co-abhängige Beziehungen.

Ist es das wirklich wert?

Nein. Nö. Nee.

Die gute Nachricht: Nein sagen kannst du lernen. Am Anfang fühlt es sich wahrscheinlich falsch an. Halte das aus. Es lohnt sich.

 

NEIN zu unnötiger oder zu viel Info

Wenn wir wollen, können wir uns jeden Tag 24 Stunden lang mit massenhaft Informationen zudröhnen (lassen). Die Frage ist nur, wieviel davon tut uns wirklich gut? Wieviel davon bringt uns ernsthaft weiter? Unterhält uns? Belastet unser System?

Sortiere die Informationen, die du konsumierst. Teile sie ein in dringend, wichtig und unwichtig.

NEIN im Job

Um allen Anforderungen gerecht zu werden, neigen wir dazu, über unsere Grenzen zu gehen. Die Mail schreib ich noch, bevor ich in die Pause gehe. Ich unterbreche kurz meine Arbeit, um der Kollegin zu helfen.

Verstehe mich nicht falsch: Ich bin absolut gegen strikten Dienst nach Vorschrift. Allerdings machen uns ständige Unterbrechnungen und Ablenkungen mit der Zeit mürbe und nehmen uns die Freude an dem, was wir tun. Halte Ausschau nach den Stellschrauben in deinem Job, an denen du noch ein bisschen nachjustieren kannst.

NEIN zum Konsum

Egal, wo wir uns bewegen (außer vielleicht in der abgeschiedenen Natur) sagen uns Tafeln, Displays, Cover und Anzeigen, was wir möglicherweise gebrauchen könnten und warum wir es auf jeden Fall haben wollen.

Wenn du nicht klar Nein sagen kannst, häufst du Dinge um Dinge um Dinge an, ohne einen wirklichen Bezug zu ihnen zu haben. Überlege dir vor deinem nächsten Kauf genau: Brauche ich es wirklich wirklich? Welches Bedürfnis liegt meinem Gefühl, es zu brauchen, zu Grunde?

NEIN zu oder in Gesprächen

Deine Lebenszeit ist verdammt kostbar. Verbring sie nicht in Gesprächen, die dich langweilen, nicht deinen Werten entsprechen oder leer sind. Lehne Gespräche ab, verschiebe sie oder greife aktiv ein.

„Du, mir ist gerade nicht nach reden. Können wir morgen telefonieren?“

„Lass uns lieber mal über deine Pläne für nächstes Jahr sprechen anstatt über Corona.“

„Ich merke, dass dich das Thema aufwühlt. Lass uns ein anderes Mal weiter reden. Mir ist das gerade zu viel.“

NEIN zu Ablenkung

Stille auszuhalten ist nicht immer einfach. Gerade, wenn du schon länger keine Zeit mehr mit dir alleine verbracht hast. In der Stille kocht Altes hoch, entsteht Neues. Kurz gesagt: In der Stille begegnen wir uns selbst und das kann mitunter schmerzhaft sein. Für’s Erste. Danach erwartet dich das größte Geschenk: Freiheit. 

Weil wir uns davor fürchten und gewohnt sind, dass ein Impuls den nächsten jagt, lenken wir uns gerne ab. Social Media, Streaming-Dienste, Chats, Essen und andere Aktivitäten kommen uns da gerade recht.

Lass das Smartphone mal liegen. Geh in den Wald spazieren. Alleine. Schreib abends mal alles auf, was heute schön war, anstatt eine neue Netflix-Serie zu beginnen

FAZIT

Achtung, es folgt ein Spruch, den du schon tausendmal gehört hast. Vielleicht liest du ihn jetzt mit anderen Augen:

Ein NEIN zu all diesen Dingen ist ein klares JA zu dir selbst.

Du zollst dir damit den Respekt, den du verdammt nochmal verdienst.

Deine Beziehungen werden auf ein neues Level gehoben, wenn du deinem Gegenüber wahrhaftig mit Freude begegnest und nicht mit Angst, Unwohlsein und indem du dich verstellst.

Du erfährst mehr Freude in deinem Job. Du kannst dir deine Arbeit endlich so gestalten, wie es für DICH passt. Gleichzeitig freut es die Gesellschaft, denn du bist leistungsfähiger und gesünder.

Und für deine Freunde und Familie schaffst du mit deinem liebevollen Nein, den Nährboden dafür, dass sie die Chance nutzen, sich selbst zu begegnen. Hinzuspüren, wenn sie dein Nein verletzt.

Noch ein paar Reflexionsfragen für dich:

Kann ich mit einem klaren Nein umgehen?

Was empfinde ich bei einem Nein von außen?

Was würde ich sofort tun, wenn alles möglich wäre und ich keine Konsequenzen tragen müsste?

Wann habe ich das letzte Mal Zeit in der Stille verbracht?